Betreuervergütung für Einzelhandelskaufleute

BGH: Ausbildung Kauffrau/Kaufmann im Einzelhandel führt zur Vergütung nach § 4 VBVG Tabelle B

 

Der Fall: Die Betreuerin hatte im Jahr 1997 erfolgreich ihre Ausbildung zur Kauffrau im Einzelhandel abgeschlossen. Sie hatte beim Amtsgericht ihrem Vergütungsanspruch die Tabelle B mit einer monatlichen Fallpauschale von 130,00 € zugrunde gelegt. Das Amtsgericht jedoch hatte sie heruntergestuft und ihrem Antrag nur auf der Grundlage einer Fallpauschale nach der Vergütungstabelle A entsprochen. Das Landgericht wies die Beschwerde der Betreuerin zurück. Die Rechtsbeschwerde wurde zugelassen, sodass die Betreuerin ihren ursprünglichen Antrag von monatlich 130,00 € weiterverfolgte.

 

Der Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 10. Februar 2021, Az. XII ZB 158/20

 

Der BGH schloss sich nicht der Entscheidung des Landgerichts an. Zunächst verwies der BGH auf den allgemeinen Grundsatz, dass der Betreuer nach §§ 1908i Abs. 1 Satz 1, 1836 Abs. 1 Satz 2 BGB eine Vergütung erhalte, wenn das Gericht bei der Bestellung des Betreuers festgestellt habe, dass die Betreuung berufsmäßig geführt wird. 

 

An der Rechtsprechung zu § 4 Abs. 1 Satz 2 VBVG in der bis zum 26. Juli 2019 geltenden Fassung hält der BGH auch nach Novellierung des Vormünder- und Berufsbetreuergesetzes fest

Die bisherigen Kriterien zur Bestimmung der Vergütung des Betreuers sollen ausdrücklich beibehalten werden – der BGH verwies auf den Beschluss des BGH vom 04. November 2020, Az. XII ZB 230/20.

 

Der BGH erläuterte mit seinem Beschluss die damals relevanten Grundsätze

 

Besondere betreuungsrelevante Kenntnisse eines Betreuers würden nur dann einen erhöhten Stundensatz rechtfertigen, wenn sie gemäß § 4 Abs. 2 VBVG in der ab dem 27. Juli 2019 geltenden Fassung als besondere Kenntnisse im Sinne der Vergütungstabelle B oder C zu bewerten sind.

Bereits zu § 4 Abs. 1 Satz 2 VBVG alter Fassung (a.F.) sei entscheidungsrelevant gewesen, ob die Ausbildung in ihrem Kernbereich auf die Vermittlung betreuungsrelevanter Kenntnisse ausgerichtet ist. Entscheidend ist, ob ein erheblicher Teil der Ausbildung solches Wissen vermittelt, das über ein betreuungsrelevantes Grundwissen deutlich hinausgeht.

Bei der Entscheidung über eine erhöhte Vergütung muss das Gericht eine konkrete Betrachtung des tatsächlichen Inhalts der Ausbildung vornehmen, insbesondere

  • den Umfang der für die Betreuung nutzbaren Ausbildungsinhalte bzw. deren Anteil an der Gesamtausbildungszeit feststellen
  • und prüfen, ob diese Kenntnisse maßgeblicher Teil der Abschlussprüfung sind.

So kommt es nicht auf die prozentualen Anteile an, sondern dass insbesondere aufgrund des erkennbaren zeitlichen Aufwands feststeht, dass ein erheblicher Teil der Ausbildungszeit auf die Vermittlung solchen (betreuungsrelevanten) Wissen entfällt.

Es obliegt letztlich nicht dem BGH als Revisionsinstanz, sondern den Tatsacheninstanzen – also den Amts- und Landgerichten – unter welchen Voraussetzungen ein Berufsbetreuer diese Voraussetzungen erfüllt. Im Rechtsbeschwerdeverfahren beim BGH wird nur eingeschränkt geprüft, ob die vorangegangene Instanz die maßgebenden Tatsachen vollständig und fehlerfrei festgestellt und gewürdigt, keine Rechtsbegriffe verkannt oder Erfahrungsgrundsätze verletzt und die allgemein anerkannten Maßstäbe berücksichtigt und richtig angewandt hat.

Der BGH gelangte hier zu dem Entschluss, dass die Betreuerin – Kauffrau im Einzelhandel – durch ihre Ausbildung für die Führung der Betreuung nutzbare Kenntnisse erlangt hätte.

Dem Landgericht warf der BGH deutlich vor, dass es den Rechtsbegriff der für die Führung der Betreuung „nutzbaren Kenntnisse“ verkannt und darüber hinaus die maßgeblichen Tatsachen nicht vollständig gewürdigt habe.

Der Senat wies darauf hin, dass Fachkenntnisse, die die Betreuung für einen Aufgabenbereich erleichtern, wie wirtschaftliche Kenntnisse im Bereich der Vermögenssorge, für die Betreuung nutzbar sind. Wer über ökonomische Fachkenntnisse verfüge, kann z.B. die zur Vermögenssorge gehörenden Dokumentations- und Rechnungslegungspflichten sowie die Pflicht zur wirtschaftlichen Vermögensverwaltung besser und effektiver erfüllen. Ökonomische Fachkenntnisse sind z.B. betriebswirtschaftliche Kenntnisse.

 

Die Ausbildung der beschwerdeführenden Betreuerin habe ihr solche betriebswirtschaftlichen Kenntnisse vermittelt. Der BGH zog zunächst die Verordnung über die Berufsausbildung zum Kaufmann im Einzelhandel/zur Kauffrau im Einzelhandel vom 14. Januar 1987 sowie den Ausbildungsrahmenplan heran. Er nannte die in dem Ausbildungsrahmenplan der Betreuerin vermittelten Kenntnisse im Rechnungswegen und führte dies detailliert nochmals aus.

Auch im Fach Einzelhandelsbetriebslehre (welche das Rechnungswesen beinhaltet) seien der Betreuerin grundlegende Fertigkeiten und Kenntnisse unter anderem zur Planung, Steuerung und Kontrolle der Kosten vermittelt worden.

 

So ist die Ausbildung auf den Erwerb einer Handlungskompetenz für das Führen eines Einzelhandelsunternehmens ausgerichtet gewesen. Der BGH verwies weiterhin auf die sachverständige Stellungnahme der Industrie- und Handelskammer.
Er gelangte zu der Schlussfolgerung, dass die Betreuerin aufgrund dieser Kenntnisse die Betreuung besser und effektiver erfüllen könne, als ein Betreuer ohne diese Kenntnisse.
Der Betreuerin war die Vermögenssorge übertragen worden.

Ihre betriebswirtschaftlichen Kenntnisse würden ihr grundlegend die Verwaltung des Vermögens eines Betreuten, wie die systematische Bestandsauffassung und Dokumentation (§ 1908i Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. § 1802 BGB) der Vermögenswerte und Verbindlichkeiten, die Wirtschaftsplanung unter Berücksichtigung sämtlicher Ein- und Ausgaben sowie ordnungsgemäße Verwaltung des Vermögens aber letztlich auch die ordnungsgemäße Rechnungslegung erleichtern.

 

BGH stellt Vermutungsregelung auf

Wenn Kenntnisse vorhanden sind, die für die Führung der Betreuung in einem Aufgabenbereich allgemein nutzbar sind, wird regelmäßig vermutet, dass dies auch für die konkret übertragene Betreuung der Fall ist.

Die Ausbildung zur Kauffrau im Einzelhandel sei in ihrem Kernbereich auf die Vermittlung betreuungsrelevanten Wissens ausgerichtet gewesen.

Als Argument wurde die gesamte Ausbildungszeit zur Kauffrau/zum Kaufmann im Einzelhandel berücksichtigt. Von 880 Stunden im theoretischen Unterricht entfallen 280 Stunden auf das (betreuungsrelevante) Rechnungswesen. Dies ist fast 1/3 der Gesamtunterrichtszeit – mithin ein erheblicher Teil, so der BGH. Unerheblich ist dabei, dass die Ausbildung sonst im überwiegenden Teil der Gesamtstundenzahl auf die Wissenserlangung anderer Fächer ausgerichtet gewesen sei. Das von der Betreuerin erworbene betreuungsrelevante Wissen geht über ein Grundwissen deutlich hinaus.

Es wurde auf die Stellungnahme der IHK verwiesen, die die Dauer (3 Jahre bzw. 280 Unterrichtsstunden zum Rechnungswesen) und Systematik (fachlich aufeinander aufbauende Bereiche in Theorie und Praxis) der Ausbildung hervorhob. Derart vermittelte Kenntnisse würden sich von einem bloßen Grundwissen erkennbar abheben.

Das Fach Rechnungswesen ist sogar selbstständiger Teil der Abschlussprüfung. Der Anteil beträgt mehr als 1/10 an sämtlichen schriftlichen Prüfungsaufgaben. Wenn die Leistung im Prüfungsfach „Einzelhandelsbetriebslehre“ mit ungenügend bewertet wird, hat dies die Konsequenz, dass die gesamte Abschlussprüfung nicht bestanden ist.

Das Fach Rechnungswesen sei maßgeblicher Bestandteil des Prüfungsfachs mit 35 %. Auch dieser Umstand zeige, dass das Rechnungswesen keinesfalls ein unmaßgeblicher Teil der Abschlussprüfung sei.

 

Bedeutung der Entscheidung für Ihre Betreuungspraxis

Die Entscheidung zeigt gute Kriterien für die Eingruppierung Ihrer Ausbildung in die Vergütungsstufen auf. Maßgeblich ist z.B. der Inhalt der Ausbildung, aber auch die Bewertung im Rahmen der Abschlussprüfung.

18. April 2021 | Kategorie: Corinna Hell, Urteile |