Der Fall: Die Betreuerin hatte 35 Betreuungen zu führen. Bei ihrer Arbeit entstanden Nachlässigkeiten, wie die verspätete Überweisung einer Heimkostenrechnung, unpünktliche Schlussabrechnungen gegenüber dem Betreuungsgericht etc.
Ein Schaden war dem Betreuten dadurch nicht entstanden, jedoch regte die Betreuungsbehörde an, dass in einem Fall die Entlassung der Betreuerin erfolgen sollte. Das Amtsgericht folgte der Betreuungsbehörde und bestellte einen anderen Betreuer. Das Landgericht Lübeck hob diesen Beschluss auf. Hiergegen richtete sich die zugelassene Rechtsbeschwerde der Betreuungsbehörde, die die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung erreichen wollte.
Der Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 15.09.2021, Az. XII ZB 317/21
Der BGH wies die Rechtsbeschwerde zurück. Die Entscheidung beruhe nicht auf Rechtsfehlern. Die Beurteilung, ob eine bestimmte Person als Betreuer eines konkreten Betroffenen (weiterhin) geeignet sei, erfordere die Prognose, ob sie voraussichtlich die sich aus der Betreuungsführung und die damit verbundenen Pflichten im Sinne des § 1901 BGB erfüllen kann.
Für diese Prognoseentscheidung muss sich das Gericht naturgemäß auf Erkenntnisse stützen, die in der näheren oder auch weiter zurückliegenden Vergangenheit wurzeln. Um die Eignung einer Person für das Betreuungsamt zu verneinen, müssen diese Sachverhalte den Schluss auf einen künftig das Wohl des Betroffenen gefährdenden Eignungsmangel, bezogen auf den von der Betreuung umfassten Aufgabenkreis ermöglichen.
So genüge für die Entlassung eines Betreuers jeder Grund, der ihn ungeeignet i.S.v. § 1897 Abs. 1 BGB erscheinen lasse. Es müsse keine konkrete Schädigung des Betroffenen oder seiner finanziellen Interessen eingetreten sein.
Allerdings habe das Gericht vor Entlassung die Mittel der Aufsicht und des Weisungsrechts einzusetzen. Jedenfalls ist eine Gesamtschau all derjenigen Umstände vorzunehmen, die für und gegen eine Eignung sprechen (vgl. Beschluss des BGH vom 29. April 2020, XII ZB 242/19, 1300 Rd. 27 m.w.N).
Bei dieser sind auch Pflichtverletzungen des Betreuers zu berücksichtigen, die je nach Häufigkeit und Schwere Indizien für eine Ungeeignetheit sein können. Das Gericht könne für die Beurteilung der Qualifikation der Betreuerin Vorgänge im Zusammenhang mit der Führung anderer Betreuungen berücksichtigen.
Ob die Schlussfolgerung der Ungeeignetheit geboten ist, ist eine der tatrichterlichen Würdigung unterliegende Frage des Einzelfalls.
Die Beurteilung eines Eignungsmangels kann gemäß § 72 Abs. 1 Satz 1 FamFG im Rechtsbeschwerdeverfahren nur auf Rechtsfehler überprüft werden. Sie ist rechtlich fehlerhaft, wenn der Tatrichter den unbestimmten Rechtsbegriff der Eignung verkennt, relevante Umstände in unvertretbarer Weise bewertet oder bei der Subsumtion wesentliche Umstände unberücksichtigt lässt.
Das Landgericht hatte sich nicht nur mit den der Beteiligten zur Last gelegten Pflichtwidrigkeiten befasst und diese jeweils einer isolierten Bewertung unterzogen, sondern erkennbar eine Gesamtschau vorgenommen, indem es diese Fehler im Verhältnis zu der Zahl der von der Beteiligten insgesamt geführten Betreuungen gesetzt und als nicht gravierend genug eingeschätzt hat, um die Eignung zu verneinen.
Dies sei rechtsbeschwerderechtlich nicht zu beanstanden. Der BGH bestätigte die Entscheidung des Landgerichts Lübeck, das entgegen dem Beschluss des Amtsgerichts Lübeck die Betreuerin in ihrem Amt beließ. Die Entscheidung des Landgerichts Lübeck sei nicht rechtlich fehlerhaft.
Bedeutung der Entscheidung für Ihre Betreuungspraxis
Auch dem sorgfältigsten Betreuer passieren Fehler bzw. aufgrund von Arbeitsüberlastung werden Vorgänge nicht zeitnah erledigt. Sie sollten selbstverständlich darauf achten, dass dies nicht geschieht.
Entsprechende „Vorwarnungen“ des Betreuungsgerichts sind sehr ernst zu nehmen. Sie können sich nicht darauf verlassen, dass das Gericht stets die Verhältnismäßigkeitsprüfung einhält.
Jedoch ist im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung die Entlassung eines Betreuers das letzte Mittel. Vorher hat das Betreuungsgericht in der Regel sein Aufsichts- und Weisungsrecht auszuüben.