Heimvertrag – außerordentliche Kündigung

Pflichtverletzung eines Berufsbetreuers hat Konsequenzen

Der Fall:  Zwischen der geistig und körperlich behinderten Betreuten, die von ihrer Mutter gesetzlich betreut wird, und dem klagenden Altenheim ist am 10.04.2017 ein Wohn- und Betreuungsvertrag zustande gekommen. Der Betreuerin bzw. ihrem Lebensgefährten wurde vorgeworfen, u. a. in nicht hinnehmbarer Weise gegenüber dem Personal des klagenden Altenheims beleidigend gewesen zu sein. Nachdem das Altenheim in einem Schreiben an die Betreuerin die Kritikpunkte ansprach und die fristlose Kündigung in den Raum stellte, und die vom Altenheim erbetenen Schlichtungsgespräche keinen Erfolg hatten, kündigte das Altenheim mit Schreiben vom 19.10.2017 den Heimvertrag aus wichtigem Grund. Auf die Berufung hin wurde dem Räumungsanspruch stattgegeben.

 

Das Urteil des OLG Frankfurt/Main vom 29. Mai 2019, Az. 2 U 121/18

Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt/Main gab dem Räumungsbegehren des Altenheims statt und hielt die außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund gemäß §§ 546 Abs. 1 BGB, 18 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 des Heimvertrages für begründet.

Zunächst stellte es fest, dass der beklagten Betreuten das Verhalten ihrer Betreuerin nach §§ 278 Satz 1, 1902 BGB zuzurechnen sei.

Die beklagte Betreute müsse aufgrund einer Nebenpflicht des Heimvertrages das Erbringen der Leistungen durch das Altenheim ermöglichen und hierbei kooperieren. In der Praxis treffe diese Pflicht die Betreuerin als Vertreterin der Betreuten.

Im Übrigen hatte die beklagte Betreute bzw. die Betreuerin vor Vertragsabschluss die Darstellung des klagenden Altenheims über die Konzeption der Einrichtung, Pflege- und Betreuungsleistungen erhalten. Diese vorvertraglichen Informationen sind nach § 1 des Heimvertrages Vertragsgrundlagen i. S. v. § 3 WBVG.

So wisse die Betreuerin, dass es auch das Ziel der Einrichtung sei, die beklagte Betreute als Bewohnerin immer stärker zu befähigen, „ein selbstbestimmtes Leben – frei – von Hilfen zu führen“. Da die beklagte Betreute dieses Konzept durch ihre Unterschrift akzeptiert hätte, sei sie verpflichtet, das klagende Altenheim in Erfüllung dieser Aufgabe zu unterstützen bzw. jedenfalls nicht erheblich zu behindern.

Das OLG Frankfurt/Main nahm eine Abwägung vor, indem es die Vorstellungen der beklagten Betreuten bzw. ihrer Betreuerin ebenfalls berücksichtigte. Schließlich würde die Betreute bzw. ihre Betreuerin ihr gesamtes Leben in der Einrichtung der Klägerin verbringen. Das Recht, ihr Leben zu gestalten, sei ihr selbst vorbehalten. So könne die beklagte Betreute bzw. die Betreuerin durchaus mit dem Konzept des Altenheims nicht übereinstimmende eigene Vorstellungen entwickeln und verfolgen.

Selbstverständlich könne sie bei gebotenem Anlass Beschwerden führen. Ob tatsächlich ein Mangel der Pflege vorliege, sei nicht zwingend geboten, stattdessen genüge der Anschein eines solchen Mangels aus Sicht der beklagten Betreuten.

Ein solcher Einsatz im Interesse der Beklagten durch die Betreuerin sei grundsätzlich sogar wünschenswert. Deshalb sei eine Pflichtverletzung bei der Interessenwahrnehmung der Beklagten nur unter besonderen Umständen gegeben.

Allerdings sind hier solche besonderen Umstände vom OLG Frankfurt/Main bejaht worden:

Die Betreuerin hatte zugelassen, dass ihr Lebensgefährte wiederholt in für das klagende Altenheim nicht hinnehmbarer Weise gegenüber deren Personal auftrat, weil er zwei Mitarbeiterinnen teilweise beleidigte bzw. persönlich herabwürdigte, indem er die Bezeichnungen „ Idioten“ und „Saftladen“ verwendete. So hätte der Lebensgefährte eine Atmosphäre geschaffen, in der die Zeuginnen sich persönlich äußerst unwohl fühlten, sie sogar sein Verhalten als bedrohlich empfanden, mit der Konsequenz, dass sie sich nicht mehr in der Lage fühlten, die beklagte Betreute weiter zu pflegen. Stattdessen wollten die Zeuginnen in einem anderen Stockwerk arbeiten, wenn mit dem Erscheinen der Betreuerin bzw. ihres Lebensgefährten zu rechnen war.

Bei dem vom klagenden Altenheim initiierten Schlichtungsgespräch kam es zu keiner Klärung, vielmehr stellten die Betreuerin und ihr Lebensgefährte die gesamte Problematik eines unangemessenen Verhaltens gänzlich in Abrede.

Das OLG Frankfurt/Main berücksichtigte auch die aktuelle Situation, dass der Lebensgefährte kein Problem in der Kommunikation mit dem Personal des Altenheims sehen wolle und auch keine Bereitschaft erkennen ließ, das offensichtlich bestehende erhebliche Problem zu lösen. So würden die Betreuerin und der Lebensgefährte auf ihren Standpunkten beharren. Der Lebensgefährte soll sogar geäußert haben, dass einer Mitarbeiterin „gekündigt“ werden müsse. Da drei Zeugen ein respektloses Verhalten des Lebensgefährten bekundeten, ein Zeuge sogar schilderte, der Lebensgefährte habe unmotiviert geschrien und geflucht und mit Presse und juristischen Schritten gedroht, folgte das OLG Frankfurt/Main dem Ergebnis der Beweisaufnahme.

Insgesamt war aus Sicht des OLG die außerordentliche Kündigung des Heimvertrages berechtigt. Das OLG Frankfurt/Main berücksichtigte dabei, dass für die beklagte Betreute selbst der Wechsel des Heimplatzes auch im Hinblick auf ihre Schwerbehinderung mit erheblichen Belastungen verbunden sei.

Gewürdigt wurde die in hohem Maße verantwortungsvolle und mit emotionalen Belastungen verbundene Tätigkeit der Mitarbeiter des Altenheims. Da das Vertrauensverhältnis zwischen dem klagenden Altenheim, ihren Mitarbeitern und der Betreuerin bzw. dem Lebensgefährten erheblich gestört sei, konnte man auch nicht davon ausgehen, dass eine unkomplizierte Wiederherstellung in Betracht käme. Die Kündigung war formal auch ordnungsgemäß, sie erfolgte in Schriftform und erhielt die notwendige Begründung. Auf Antrag der beklagten Betreuten wurde eine Räumungsfrist bestimmt.

Bedeutung der Entscheidung für Ihre Betreuerpraxis

Beachten Sie stets das Spannungsverhältnis zwischen Ihren im Heim lebenden Betreuten. Sie haben einerseits die Interessen der Betreuten zu wahren und zu vertreten, andererseits aber auch die Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern des Heims bzw. der Heimleitung sachlich zu gestalten. Denn Ihr Verhalten als rechtlicher Betreuer wird in der Regel Ihrem Betreuten zugerechnet.

04. November 2019 | Kategorie: Corinna Hell, Urteile |