Die freiheitsentziehende Unterbringung eines Betroffenen bei Alkoholismus und einem damit entweder in ursächlichem Zusammenhang stehenden geistigen Gebrechen oder einem auf den Alkoholmissbrauch zurückzuführenden Zustand, der das Ausmaß eines geistigen Gebrechens erreicht hat, ist unter der Voraussetzung zulässig, dass der Betroffene keinen freien Willen mehr bilden kann.
Die Fälle: Die Betroffene im Fall der Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 03.02.2016 (Az. XII ZB 317/15) leidet an einer hochgradigen Alkoholabhängigkeit sowie gravierenden Folgeschäden im Bereich des zentralen Nervensystems (äthyltoxisch bedingte Neuropathie, äthyltoxisch bedingter Kleinhirnschaden). Ohne eine Unterbringung ist nach den Feststellungen der Vorinstanzen alsbald ein Rückfall zu erwarten, durch den sich die Erkrankung vollständig demenziell im Sinne eines Korsakow-Syndroms entwickeln würde. Auf Antrag des Betreuers hat das Amtsgericht die Unterbringung, gestützt auf ein diese befürwortendes Sachverständigengutachtens, genehmigt. Das Landgericht hat die dagegen gerichtete Beschwerde der Betroffenen zurückgewiesen. Die Betroffene begehrt mit der Rechtsbeschwerde die Aufhebung der Entscheidung.
Der Betroffene im Fall der Entscheidung des BGH vom 13.04.2016 (Az. XII ZB 95/16) leidet an einer Alkoholabhängigkeit sowie gravierenden Folgeschäden in Gestalt einer hirnorganischen Wesensveränderung sowie von Ataxie, Polyneuropathie, Leberzirrhose, Pankreatitis, beginnendem Korsakow-Syndrom sowie epileptischen Anfällen. Das Amtsgericht hat auf Antrag des Betreuers die Unterbringung des Betroffenen genehmigt, obwohl das eingeholte Sachverständigengutachten zwar deren Bedürfnis attestiert, indessen den entgegenstehenden Willen des Betroffenen lediglich als eingeschränkt bezeichnet hat. Das Landgericht hat die Beschwerde nach Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens, das – allerdings auf zweifelhafter Grundlage – von dem Ausschluss eines freien Willens ausgegangen ist, zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen.
Beide Betroffene sind nicht willens bzw. in der Lage, eine Alkohol-Entwöhnung im Sinne einer erfolgversprechenden Therapie durchzuführen.
Die Entscheidungen des BGH vom 13.04.2016, Az. XII ZB 95/16 und 03.02.2016, Az. XII ZB 317/15
Der BGH stellt in beiden Entscheidungen zunächst in der Forstsetzung seiner Beschlüsse vom 17.08.2011, Az. XII ZB 241/11 und vom 25.03.2015, Az. XVII ZA 12/15 fest, dass Alkoholismus für sich gesehen keine psychische Krankheit bzw. geistige oder seelische Behinderung im Sinne von § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist, auf die eine freiheitsentziehende Unterbringung gestützt werden könne.
Auch eine bloße Rückfallgefahr vermöge eine Unterbringung nicht zu rechtfertigen.
Etwas anderes gelte – wie in den früheren Entscheidungen bereits festgestellt – aber dann, wenn der Alkoholismus entweder in ursächlichem Zusammenhang mit einem geistigen Gebrechen stehe oder ein auf den Alkoholmissbrauch zurückzuführender Zustand eingetreten sei, der das Ausmaß eines geistigen Gebrechens erreicht habe.
Lägen diese Voraussetzungen vor, sei eine Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. BGB zur Vermeidung einer erheblichen Selbstschädigung in Betracht zu ziehen. Eine derartige Unterbringung sei von dem Zweck getragen, den Betroffenen vor sich selbst zu schützen und deshalb komme es, anders als bei einer Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB, nicht auf eine gezielte Therapiemöglichkeit an.
Eine Unterbringung in diesem Sinne komme aber nur in Betracht, wie der BGH in der Entscheidung vom 03.02.2016 nunmehr nochmals ausdrücklich und gezielt klarstellt, wenn der Betroffene aufgrund der Erkrankung seinen Willen nicht mehr frei bestimmen könne. Zwar stehe es nach der Verfassung jedermann frei, Hilfe zurückzuweisen, sofern dadurch nicht Rechtsgüter anderer oder der Allgemeinheit in Mitleidenschaft gezogen würden. Das Gewicht, das dem Freiheitsanspruch gegenüber dem Fürsorgegedanken des Gemeinwohls zukomme, dürfe aber nicht losgelöst von den tatsächlichen Möglichkeiten des Betroffenen bestimmt werden, sich frei zu entscheiden.
Das wird so verstanden werden müssen, dass der Betroffene zu einer freien Willensbestimmung dann als nicht mehr dazu fähig anzusehen ist, wenn er keine Einsicht in die mit dem Alkoholismus zusammenhängende Krankheit hat und deshalb seien Alkoholkonsum nicht einstellen kann oder will.
Das Fehlen eines freien Willens in diesem Sinne hat der BGH in dem am 03.02.2016 entschiedenen Fall angenommen, da dies durch das Sachverständigengutachten einwandfrei festgestellt worden sei, und die Rechtsbeschwerde entsprechend zurückgewiesen.
In dem am 13.04.2016 entschiedenen Fall hat der BGH zum freien Willen unter Verweis auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 20.01.2015 – Az. 1 BvR 665/14 – weiter klargestellt, dass aus der Alkoholabhängigkeit für sich und dem darauf beruhenden Mangel an Steuerungsfähigkeit in Bezug auf den Alkoholkonsum von nicht auf ein Unvermögen zur freien Willensbildung geschlossen werden könne. Sei der freie Wille nur alkoholbedingt eingeschränkt, aber nicht aufgehoben, komme eine Unterbringung nicht in Betracht.
Erforderlich sei eine zweifelsfreie und vom Gericht entsprechend auf innere Logik und Schlüssigkeit zu überprüfende Feststellung in einem Sachverständigengutachten. Ein solches hatten die Vorinstanzen nach Auffassung des BGH nicht hinreichend veranlasst, so dass der Rechtsbeschwerde stattgegeben worden ist.
Bedeutung der Entscheidung für die Betreuungspraxis
Achten Sie darauf, dass die Frage, ob ein der freiheitsentziehenden Unterbringung entgegenstehender Wille des Betroffenen als frei oder nicht frei einzustufen ist, durch das Betreuungsgericht zweifelsfrei und durch die Einholung eines aussagekräftigen Sachverständigengutachtens geklärt wird. Ist dies geschehen, kommt die Unterbringung des Betroffenen bei Vorliegen der oben dargestellten weiteren Voraussetzungen auf der Grundlage von § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB bei einer Alkoholabhängigkeit auch dann in Betracht, wenn keine konkrete Therapiemöglichkeit in Richtung auf eine Entwöhnung gegeben ist.
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