Schmerzensgeld wegen Fixierung und Zwangsbehandlung

Wenn Betreuungsrichter falsch entscheiden

Der Fall:  Die Klägerin erhebt Schmerzensgeldansprüche. Sie wurde während der Unterbringung in der geschlossenen Einrichtung zwangsweise fixiert. Die Klägerin brachte in 2014 einen Sohn als Frühgeburt zur Welt. Es kam zu Konfliktsituationen und Streitigkeiten zwischen der Klägerin und ihrem Ehemann. Bei einem Notruf gab der Ehemann sinngemäß an, dass die Klägerin in der Wohnung gegenüber ihrer Mutter krankheitsbedingt tätlich zu werden drohe und die Situation von den Anwesenden nicht zu bewältigen sei. Die Notärztin diagnostizierte eine ausgeprägte Wochenbettpsychose.

 

Der Beschluss des OLG Frankfurt/Main vom 16.07.2019, Az. 8 U 59/18

Die Polizeibeamten ordneten die sofortige Ingewahrsamnahme der Klägerin an. Das Betreuungsgericht stellte mit Beschluss vom April 2014 die Zulässigkeit der sofortigen Ingewahrsamnahme fest und ordnete die vorläufige Unterbringung der Klägerin in einer geschlossenen Einrichtung bis längstens Mai 2014 an. Die Klägerin legt hiergegen Beschwerde ein, diese wies das Landgericht zurück.

Nun beantragte die Klägerin, das Land zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen.

In II. Instanz verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt/Main sprach der Klägerin einen Schmerzensgeldantrag in Höhe von 12.000 € zu. Der Anspruch ergibt sich aus § 839 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 34 Abs. 1 GG.

Wenn die Klägerin ein Schmerzensgeld im Hinblick auf die Fixierung und Zwangsmedikation begehrt, kann sie die Klage gegen das Land richten.

Die Klägerin war von April 2014 mit Unterbrechung bis Mai 2014 fixiert. Diese Fixierungen waren rechtswidrig, so das OLG.

Die Fixierung ist ein Eingriff in die Freiheit der Person i. S. v. Art. 5 der Hessischen Verfassung und Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG i.V.m. 104 GG. Dies gilt auch dann, wenn der betroffenen Person im Rahmen der Unterbringung die Freiheit bereits entzogen wurde.

Die vollständige Aufhebung der Bewegungsfreiheit durch die 5-Punkt- oder die 7-Punkt-Fixierung am Bett nimmt der betroffenen Person die ihr noch verbliebene Freiheit, sich zumindest im Zimmer oder auf der Station trotz Unterbringung zu bewegen. So ist die betroffene Person letztlich durch diese Fixierung auf ihrem Krankenbett vollständig bewegungsunfähig. Die 5-Punkt- bzw. die 7-Punkt-Fixierung ist daher von der richterlichen Unterbringungsanordnung nicht gedeckt.

Entsprechendes gilt in Bezug auf die Zwangsbehandlung der Klägerin. Diese verstößt gegen das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit, auch wenn sie zum Zwecke der Heilung vorgenommen wurde. Hierfür fehlt es ebenfalls an einer entsprechenden Genehmigung des Betreuungsgerichts.

Da über die zulässige Fortdauer einer Freiheitsentziehung nur der Betreuungsrichter zu entscheiden hat, bedarf eine Fixierung einer eigenständigen richterlichen Genehmigung. Diese lag jedoch nicht vor. Deshalb steht der Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 12.000 € zu.

Bedeutung der Entscheidung für Ihre Betreuungspraxis

Beachten Sie das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit. Die Fixierung bedarf einer gesonderten richterlichen Entscheidung, die Sie als Betreuer beantragen müssen.

06. November 2019 | Kategorie: Corinna Hell, Urteile |